Gedanken zum Geleit "Die Studenten, die denken lernen muessen, weil die heutige Welt nur durch Denken bewaeltigt werden kann, und die, weil sie denken lernen muessen, nicht daran gehindert werden koennen, auch politisch nachzudenken, sind die schwache Stelle in den heutigen Ordnungen. Sie sind in der bevorzugten Lage, die Organisation zu ueberdenken, der sie gegenueberstehen, weil sie noch nicht voellig in diese Organisation eingegliedert sind. Doch kommen ihre Forderungen nicht nur vom Denken, sondern auch von Emotionen her. Als junge Menschen wehren sie sich instinktiv gegen die vorhandene und als denkende Menschen bewusst gegen die falsche Ordnung. Das macht, wenn die vorhandene Ordnung eine falsche Ordnung ist, die Stosskraft der Studenten aus, und wo haben wir heute eine richtige Ordnung!" (aus dem "Monstervortrag ueber Gerechtigkeit und Recht" von F. Duerrenmatt, Studium Generale Uni Mainz, gehalten 1969, [abgedruckt schon einmal vor 5,5 Jahren). Doch oh weh, was hat sich nicht alles veraendert inzwischen! - Es ist immer noch richtig, dass die Welt nur durch Denken zu bewaeltigen ist, aber heute sind die Menschen froh, wenn sie das eigene Leben bewaeltigen, darueber hinaus sind sie gelaehmt. - Im allgemeinen Sinne MUSS heute niemand mehr denken lernen, die Vernunft wird nur noch instrumentell gebraucht. - Informationsdeprivation bei gleichzeitiger Reizueberflutung ist ein erstes Hindernis. Karriereberatung und Idole, ein Baukastensystem von Lebensabschnitten und die scheinbare, subjektive Alternativlosigkeit, durch die Ordnung vorgegeben, fuehren dazu: Das Denken ist nur noch ein Hilfsmittel des Akzeptierens, heute ist "alles so schoen bunt hier"(Liedtext von Nina Hagen) und dadurch der Prozess der Affirmation leichter. "Tapetenwechsel braucht der Mensch"(Werbung), damit es so bleibt. - Auch ist politisieren nicht dasselbe wie politisch nachzudenken. Zur Schere im Kopf kommt allzu haeufig noch der Nebel der Stammtisch- atmosphaere. Die grassierende soziale Entfremdung noetigt zum Ausgleich, es werden politische Zusammenhaenge dafuer umfunktioniert oder sich gleich ausschliesslich fuer die eigene Psychohygiene organisiert. - Die "schwache Stelle" waren Studenten und Studentinnen, glauben wir den Verfassungsschutzberichten oder den Staatstraegern und ihren veroeffentlichten Aktivitaeten, hoechstens in grauer Vorzeit. Auch Dick und Doof in Personalunion hat schon laenger nicht mehr (in der Oeffentlichkeit) gesagt, "die Universitaeten sind die Brutstaetten des Terrorismus"('72). Den '68ern wurde in Ermangelung gesellschaftlicher Perspektiven stattdessen der Reichtum zur Verfuegung gestellt; der ist so langsam verraucht. Die alte Ordnung wird heute kaum mehr Ressourcen zur Weiterentwicklung (Reform im positiven Sinne), geschweige denn zum Aufbau einer neuen, hoeher entwickelten, bereit stellen. - Bevorzugte Lage? Noch, aber da wird ja jetzt Druck gemacht. Ein Lehrling mit 35-Stunden-Woche hat heute schon mehr Zeit als die meisten Studenten, und die sollen ja bekanntlich schneller studieren. - "Eingliederung" und Entfremdung beginnen heute frueher, der Grad kapitalistischer Vergesellschaftung steigt. Die Verunmoeglichung des gesellschaftlich gedachten Fortschrittsgedankens wird massiv vorangetrieben. Das Leben soll heutzutage moeglichst bruchlos verlaufen, und ein Wechsel, ja sogar nur ein Infragestellen der Ordnung koennte einen solchen Bruch bedeuten. Die Lebensbedingungen sind weiter vereinheitlicht, die Intensitaet und soziale Streuung der Kontakte und damit die Breite der Sozialisationen ist heute viel geringer. - Mental Numbing im Militaerjargon. Die Menschen sterben heute in mehr Wohn- und Kinderzimmern als frueher - groesser, intensiver, bunter, lebendiger (nicht realer) und in besserer Empfangsqualitaet. Aber der Normalkonsument fuehlt nicht mehr den geringsten Handlungsdruck. - Zur Neutralisation der instinktiven Gegenwehr haben die '68er diese Ordnung stabilisierende Spielwiesen und die feinere Abstufung von Repressions- und Demoralisationsmassnahmen "erkaempft", quasi die Feinabstimmung dieser Ordnung erzwungen. Nachdem die Bewegung im Sand verlaufen und verdunstet (oder versickert) ist, besteht die tendenzielle Gefahr einer Rueckkehr der Wueste. Systemimmanent wuerde ein Verschwinden der "Linken" debalancierend wirken. Weshalb jemand, der diese Ordnung stabilisieren wollte, sich ploetzlich links verortet saehe, waehrend manche Linke, die anderes wollten, in die Rolle des Ordnungsfaktors fallen. - Bewusst? - Bewusst geniessen? Leben Sie bewusst? Womoeglich noch im hier und jetzt? - Wogegen? - Wohl ein ausgestorbenes Phaenomen! - Falsche oder richtige Ordnung? Wer traut sich das zu entscheiden? Wo ent- scheiden doch ein schmerzliches SCHEIDEN vom Falschen heissen sollte. Wo es doch so bequem ist, die vorgefundene in der ganz privaten, "neuen Subjektivitaet" als richtige wahr_zu_nehmen. - Ordnung? In der zweiten Realitaet der Medienwelt mit ihren Vereinfach- ungen erscheint die reale Welt als zu chaotisch; dem situativ ueberforder- ten, weit vom analytischen Denken entfernten, Opfer ist als neues Umgebungsmodell die "Neue Unuebersichtlichkeit" nahegelegt worden. Dementsprechend fordert es jetzt erstmal, je nach Charakter und politischer Couleur, 'ne uebersichtliche Ordnung, anstatt daranzugehen, die alte zu entschleiern, um sie, wenn schon nicht zu veraendern, wenigstens zu verstehen. - Stosskraft? Nur noch in Laendern, wo die Vergesellschaftung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Die BRD "bietet" da aber vorbeugende Entwicklungshilfe, zum Teil sogar moerderisch erfolgreiche! - Richtige Ordnung II: Nach Ende der fordistischen Aera wird sich eine neue Ordnung durchsetzen: das System formiert sich neu. Egal ob die Menschen die neue Ordnung als solche empfinden. Ein erster, versuchsweiser Schritt des instrumentellen Denkens: Schneller durch die Uni hindurch. Lernen wie in der Schule statt jemals zu studieren, d.h. Student bzw. Studentin gewesen zu sein. Weil dem so ist, vertiefen wir uns diesmal in drei Themenbereiche: Armut, Rechtsextremismus und Naher Osten. Die sind leicht zu fassen, ohne immer die Komplexitaet des Ganzen im Kopf zu haben, aber die Kenntnis von Symptomen laesst annehmen, dass etwas bei der Menschheit im argen liegt. Es sei getrost den Konsumenten und Besuchern der Kritischen Uni ueberlassen ob sie sich an effektischen Widerspruechen oder der ursaechlichen Organisationsform oder lieber an gar Nichts abarbeiten. V.i.S.d.P.: M. Scheibling, Referat Kritische Uni und Wissenschaftskritik im AStA der Universitaet Kaiserslautern bei Kaiserslautern. Der Nachdruck von Texten und Auszuegen sowie deren Verbreitung ist ausdruecklich erwuenscht.