Wie entsteht Bewußtsein im Kapitalismus?


Anhand der öffentlichen Wahrnehmung der aktuellen Weltwirtschaftskrise

Der Sachverhalt: Die globale Marktwirtschaft bringt es wieder einmal zu einer Krise. Diesmal von Ostasien aus legt sie in einer ökonomischen Kettenreaktion weltweit Geld und Kredit brach. Aber auch jede Menge Fabriken samt daran hängendem Lebensunterhalt.

Die öffentliche Sichtweise dazu: Ein asiatischer Grippevirus befällt den Organismus der Weltwirtschaft; selbst unser an sich kerngesunder Standort unterliegt der Gefahr der Ansteckung durch die fernöstlichen Krankheitskeime und muß um seine Resistenz ringen. Also all die ``sozialen Grausamkeiten'' der ``Standortpolitik im globalen Wettbewerb'' fortsetzen, die die Standortinsassen aus dem wirtschaftlichen Lebenskampf ihres nationalen Ladens ja schon zur Genüge kennen.

Die Bildersprache dieser allseits geteilten Sichtweise ist verräterisch: Sie faßt die ökonomischen und sozialen Hervorbringungen einer besonderen, eben marktwirtschaftlich verfaßten Produktionsweise auf, als wären sie ein Stück Natur, deren alternativlosen Sachgesetzen sich alle bloß beugen können; auch und gerade die Leute, die ihre schädlichen Wirkungen auszubaden haben.

Nicht bloß in der Krise gelten ja die berühmten ``Sachzwänge'' der ``globalisierten Wirtschaft'': daß alle dem Geld dienen müssen; daß die einen viel, die vielen anderen wenig Geld verdienen müssen, damit das Wachstum klappt, von dem ``wir alle'' abhängen; daß Arbeit, auch wenn sie ziemlich ungemütlich ausfällt, das höchste Gut ist, wenn im Gang des Wachstums Millionen davon ausgeschlossen werden. Usw.

Der Kapitalismus und die ihn betreuende Herrschaft als Naturgesetz: ``Falschem Bewußtsein'' unterliegt, wer das Habenwollen (des Frühstücksbrötchens oder des CD-Players) mit kaufen müssen gewohnheitsmäßig ineinssetzt. Oder den Einser resp. Sechser im Examen mit eigener Disposition zum Winner resp. Looser. Oder Liebhaben mit Heiraten (``eheähnliche Verhältnisse'' inclusive). Oder auch Kriegführen mit Friedenssicherung...

Hat zum Thema ``falsches Bewußtsein'' womöglich ein gewisser Karl Marx uns auch nach hundert Jahren etwas zu sagen? Ein Autor, der es - unter dem Stichwort ``Warenfetisch'' - jedenfalls für einen ziemlichen Skandal erklärt hat, wenn eine Gesellschaft ihre Mitglieder dazu bringt, ``ihre eigene gesellschaftliche Bewegung in der Form einer Bewegung von Sachen'' aufzufassen, ``unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren''...


ReferentIn: Heinz Scholler


aus: Frankfurt


Zeit und Ort: Montag, 18.1.1999, 19.30Uhr 36/265