Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden


Über die Demokratietheorie von Rosa Luxemburg

Als am Jahrestag ihrer Ermordung, am 15. Januar 1988 die SED eine Kundgebung an der Gedenkstätte in Ostberlin abhielt, demonstrierten oppositionelle und ausreisewillige DDR-BürgerInnen mit diesem Zitat. Die DemonstrantInnen wurden verhaftet, einige erreichten ihr Ziel ``rübermachen'' zu können und Bundeskanzler Helmut Kohl benutzte in der Parlamentsdebatte dazu das ``bolschewistische Flintenweib'' als Kronzeugin gegen die DDR.

Bis heute ist Rosa Luxemburg eine politische Figur, auf die sich alle Strömungen der Linken, von der reformistischen bis zur radikalen, positiv beziehen. Alle lieben Rosa - auf Kosten einer inhaltlichen Auseinandersetzung.

Bei der Rezeption des Werkes ist Rosa Luxemburgs Verständnis von Demokratie ein zentraler Streitpunkt, seit ihr Freund Paul Levi 1921 ihre Kritik der Oktoberrevolution veröffentlichte. Für die kommunistischen Parteien war sie fortan ein Problemfall, SozialdemokratInnen verzeihen ihr nie das Eintreten für eine Räterepublik im November 1918. Unter demokratietheoretischen Aspekten wurde nur Luxemburgs Kontroverse mit Lenin bearbeitet, die sich 1904 an der Organisationsfrage entzündete und bis zu ihrem Tod dauerte. Die Abstinenz innerhalb der radikalen Linken dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, daß der Begriff Demokratie im politischen Denken wie im Alltagsbewußtsein exklusiv verknüpft ist mit seiner bürgerlich-liberalen Ausprägung. Und von der praktischen Seite her drängt sich das Thema Rätedemokratie mangels revolutionärer Situation in BRD nicht gerade auf.

Rosa Luxemburg entwickelte ihr Verständnis einer roten Demokratie vor dem Hintergrund des Massenstreiks sowie der revolutionären und Rätebewegungen von der Jahrhundertwende bis zur Novemberrevolution. Ideengeschichtlich knüpft sie an eine Tradition an, die politische Selbstbestimmung mit sozialer Gleichheit verband, jener ``Herrschaft der Armen'' also, die von den klassischen griechischen Philosophen bis zu den Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts heftig bekämpft wurde. In ihren Schriften entwickelte Luxemburg diesen politischen Ansatz weiter durch eine marxistische Klassenanalyse und eine neue Strategie, den Massenstreik. Alles in scharfer Abgrenzung zu reformistischen Strömungen, die Demokratie mit bürgerlichem Parlamentarismus, ``nationaler Selbstbestimmung'' und ``zivilisierter'' Expansionspolitik buchstabierten. Luxemburgs Ziele waren hingegen soziale Befreiung, kollektive Selbstbestimmung sowie die Existenz- und Freiheitsrechte der einzelnen Menschen.


ReferentIn: Peter Bierl


aus: München


Unterstützer: AStA und ESG


Zeit und Ort: Mittwoch, 10.2.1999, 20.00Uhr ESG


Zeit und Ort: Hermann-Hesse-Str. 50