Block 1


Block 1: Gesellschaftliche Großorganisation

Thema des ersten Blocks war Gesellschaftliche Großorganisation, jedoch drehte sich die Diskussion im Arbeitskreis auch um nur mittelbar mit diesem Oberbegriff zusammenhängende Fragen.

Während der Arbeitskreis am Modell der Zukunftswerkstatt 1 orientiert ist und zu jedem Block eine Analyse-, Phantasie- und Realisierungssitzung stattfindet, ist dieser Text linear strukturiert, so daß alle drei Aspekte eines Unterthemas zusammengeführt dargestellt sind.

Während der Diskussion konnten viele Themen nur gestreift werden, so daß auch dieser Text keinerlei Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit haben kann und zahlreiche Lücken enthält.

Aus der Diskussion um Analyse, Phantasie und Realisierung ergibt sich die folgende Zusammenfassung.

Strukturen

Heutige territoriale Strukturen

Unsere heutigen Gesellschaften sind durch riesige politische und soziale Strukturen geprägt, die sich einerseits als Staaten oder gar überstaatliche Konstrukte, andererseits als transnationale Konzerne darstellen. 2

Die Größe dieser Strukturen scheint uns viel zu groß zu sein, da im menschlichen Leben nur wenige Dinge innerhalb solch riesiger Entfernungen eine Rolle spielen. Small is beautiful ist also in vielen Hinsichten eine nach wie vor gültige Forderung.

Von Territorien unabhängige Strukturen

Denkbar wären gesellschaftliche Strukturen, die nicht an Territorien gebunden sind. So wären z.B. Strukturierungen anhand fachlicher Gebiete denkbar. Die vielbeschworene internationale Wissenschaftgemeinde könnte hier als Vorbild dienen. Allerdings sind WissenschaftlerInnen durch ihre Einbindung in staatliche oder Kapitalstrukturen heute erheblich daran gehindert, einen wirklich freien wissenschaftlichen Austausch zu organisieren.

Ein weiteres, prototypisches Beispiel könnten NGOs bilden, die oft in internationalem Rahmen bestimmte fachliche Fragen kritisch behandeln und dabei oft eine erstaunliche Kompetenz entwickeln. Die dort geleistete Arbeit wird zumindest zum überwiegenden Teil freiwillig übernommen und auch die Art und Weise der Organisation wird nur in Grenzen von außen vorgeschrieben. 3

Vorstellbar wäre eine Gliederung entlang solcher freiwilliger Zusammenschlüsse, die sich freiwillig einer bestimmte Aufgabenstellung zuwenden. Diese Zusammenschlüsse müßten nicht hierarchisch strukturiert sein, sondern könnten parallel nebeneinander existieren. Bei vielen wichtigen Entscheidungen werden allerdings mehrere solcher Gremien zusammenarbeiten müssen. Ein geplantes Bergewerk wird also eine Kommunikation zwischen einem Zusammenschluß zur Erschließung und Förderung von Bodenschätzen als auch ein nach territorialen Gesichtspunkten organisiertes Entscheidungsgremium nötig machen.

Eine solche Konstruktion wirft allerdings die Frage auf, wie in Konfliktsituationen entschieden wird bzw. wie die Machtbasis des einen oder anderen Systems beschaffen ist. Vielleicht wäre hier die Beteiligung bzw. das Interesse der Bevölkerung eine mögliche Legitimationsbasis (am Bergbau sind mehr Menschen interessiert als am Erhalt einer bestimmten Straße o.ä.). Dies muß natürlich mit funktionierenden Minderheitenrechten ausgestattet werden.

Kleinere territoriale Strukturen

Es wäre denkbar, daß Städte für viele Entscheidungen den geeignete Rahmen abgeben. Allerdings wird es einen überkommunalen kulturellen und ökonomischen Austausch auch weiterhin geben. Für einige ökologische Fragen ist eine rein lokale Sicht auch ausgesprochen schädliche Sicht. Provinzialismus als Prinzip ist ebenfalls abzulehnen.

Offen blieb die Frage ob eine Art radikales Subsistenzprinzip wünschenswert ist, bei dem dann z.B. jede AnwohnerInnengruppe ihre Straße selbst repariert.

Eine Problematik, die großen, hierarchischen Strukturen gemein zu sein scheint, ist, daß die Initiative zu einer Entscheidung oft von ganz unten kommt, oben entschieden wird (oder auch nicht) und dann an die unteren Hierarchieebenen zurückgegeben wird. Dadurch werden die Entscheidungen sehr weit entfernt von den Betroffenen gefällt.

Verwaltung

Verwaltung heute

Erhebliche Teile unserer Gesellschaften werden durch öffentliche Verwaltung geprägt, die im allgemeinen entlang territorial bestimmter, staatlicher Strukturen organisiert ist (Bundes-, Landes- und Kommunalkompetenz). Die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ist idealerweise die Um- und Durchsetzung des durch Gesetze Bestimmten. Die öffentliche Verwaltung ist somit ein ausführendes Organ einer politischen Institution und somit selbst politisch.

Während nach kapitalistischer Logik organisierte Einrichtungen ausschließlich an einer Profitmaximierung interessiert sind, ist ein wichtiges Kennzeichen öffentlichen Verwaltungshandelns seine Orientierung am Nutzen. Dies kann insbesondere bedeuten, daß defizitäre, für die Gesellschaft aber wichtige Einrichtungen aus öffentlichen Mitteln betrieben werden. Ein weiteres Merkmal öffentlicher Verwaltung ist, daß sie mindestens auf dem verwalteten Territorium nicht der Konkurrenz unterliegt. In Deutschland aber auch in anderen Staaten und z.B. der EU soll Verwaltungshandeln weiterhin zu einer Angleichung der Lebensbedingungen führen.

Die durch Verwaltung implementierten Regelungen enthalten immer ein gesellschaftliches Wissen und Wollen. Sie sind daher gerade in einer komplexen, nie ganz überschaubaren Welt von Vorteil.

Natürlich gibt es innerhalb von Verwaltungen auch Mißstände bis hin zur Korruption. Ob Verwaltung effizienter organisiert werden kann, wurde nicht abschließend diskutiert.

Verwaltung in einer Utopie

Viele dieser positiven Eigenschaften scheinen für die Verwaltung einer künftigen Gesellschaft von Nutzen zu sein und sollten daher übernommen werden. Allerdings muß die Herrschaft über Menschen, die öffentliche Verwaltung heute oft darstellt, durch eine Verwaltung von Sachen abgelöst werden. Dabei müßte und könnte die heutige staatlich organisierte Verwaltung teilweise in die Gesellschaft zurückgenommen werden und an verschiedenen Stellen ganz entfallen. Andererseits müßten auch ökonomische Prozesse durch eine vom politischen Willen gesteuerte Verwaltung organisiert und verwaltet werden. Da Verwaltungsangestellte öffentliche Aufgaben übernehmen und politischen Willen umsetzen, müßten diese gewählt werden.

Es ist allerdings zu beachten, daß historische Beispiele zeigen, daß bestehende Apparate nur begrenzt weiterbenutzt und dann ersetzt werden müssen.

Entscheidungsverfahren

Parlamentarische Demokratie

Im explizit politischen, d.h. im staatlichen Raum sind unsere Gesellschaften durch parlamentarische Demokratie auf den verschiedenen Gliederungsebenen gekennzeichnet. Die BürgerInnen dürfen i.a. alle vier Jahre einen Stimmzettel abgeben, mit dem sie ihre Präferenz für eine bestimmte zum Ausdruck bringen können. Insbesondere ist es den BürgerInnen also nicht möglich auf bestimmte politische Inhalte direkt Einfluß zu nehmen, sondern sie können bestenfalls Vertreter letztlich aber nur Parteien wählen, von denen sie vermuten, daß sie einen großen Teil ihrer politischen Entscheidungen teilen. 4

Zu all den genannten prinzipiellen Einschränkungen parlamentarischer Demokratie kommt nur zu oft hinzu, daß die Vorstände von Parteien oft die Verbindung zu den Niederungen der Parteibasis verloren haben. Wo eine Basis nochmal den ohnehin schwierigen Aufstand gegen die eigene Führung wagt, wird sie mit sog. Sachzwängen abgespeist. Zwischen Parteien, die sich Macht z.B. in einer Koalition teilen, wird oft mit Kuhhandeln gearbeitet. Im Konfliktfall auf einem bestimmten Sachgebiet wird dann eine Partei ruhig gestellt, indem auf oft sachfremdem Gebiet Zugeständnisse von der anderen Partei gemacht werden. Eine andere Form demokratischer Konfliktlösung ist der Kompromiß, bei dem keine Seite ganz, alle Seiten aber halb zufrieden gestellt werden.

Andere heutige Entscheidungsverfahren

Hinter den Fabriktoren aber auch in der öffentlichen Verwaltung herrscht dagegen unverblümte Autokratie. Die in kapitalistischen Unternehmungen oder Behörden bestehenden Hierarchien werden aber i.a. unwidersprochen hingenommen. Noch seltener wird aus Kritik an konkreten Mißständen grundsätzliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen.

Die Gewerkschaften sind zwar als Gegenmacht in den Betrieben gedacht, können und wollen aber diese Rolle gerade nach dem deutschen Modell der Sozialpartnerschaft immer weniger spielen. Die Gewerkschaften sind nach innen ebenfalls demokratisch organisiert.

Auch in der Familie herrschen oft autoritäre Strukturen. Allerdings sind diese mittlerweile auch häufig zugunsten einer Teilung von Arbeit und Macht aufgeweicht.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß autoritäre Strukturen auch eine entlastende Funktion haben, da die ihnen Unterworfenen nicht mit der Vielfalt von Freiheit konfrontiert sind.

Andererseits muß eine Abgabe von Verantwortung nicht im Widerspruch zu Partizipation stehen. Entscheidend ist allein die Freiwilligkeit.

Bei demokratischen Entscheidungsverfahren entscheidet eine Mehrheit. In der Regel reicht eine 50%+1-Mehrheit oder auch nur relative Mehrheiten für eine Entscheidung aus. Oft geht der konkreten Abstimmung allerdings eine Debatte voraus, in der das zur Entscheidung Anstehende debattiert wird. Als Ergebnis einer demokratischen Kultur wird das Ergebnis einer Abstimmung in der Regel akzeptiert. Allerdings bleiben bei den TeilnehmerInnen unterschiedliche Stimmungen des Sieges bzw. der Niederlage zurück. Demokratie kann als eine Diktatur der Mehrheit über die Minderheit verstanden werden.

Basisdemokratie

Eine Basisdemokratie müßte sich von einer parlamentarischen dadurch unterscheiden, daß alle VertreterInnen direkt gewählt werden und nicht VertreterInnen VertreterInnen wählen. Es müßten viel mehr Entscheidungen von den direkt Betroffenen und nicht von deren VertreterInnen gefällt werden.

Das Internet könnte eine Basisdemokratie sicher befördern, erfordert aber eine erhebliche technische Infrastruktur.

Allgemeines zu Entscheidungsverfahren, Macht und Konflikten

Jedes Entscheidungsverfahren einer Utopie muß mehrere Fehlentwicklungen verhindern oder zumindest eindämmen. Die fachliche Autorität, die Menschen durch Spezialisierung oder einen Wissensvorsprung haben, darf nicht in einen Machtvorsprung umschlagen. Es sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Wissen und Informationen transparent zu machen und breit zu streuen. Dies ist um so nötiger, je mehr breite Partizipation Betroffener möglich werden soll.

Alle Machtstrukturen neigen dazu, daß Entscheidungen nicht mehr aus fachlichen sondern machtpolitischen Erwägungen getroffen werden. Besonders spiegelt sich dies in Personalfragen, wo tendenziell die Menschen erfolgreich sind, die das Machtspiel am besten beherrschen. Es ist daher wichtig, Machtzentren so weit irgend möglich aufzulösen bzw. ihre Existenz zeitlich zu begrenzen.

Da es auch in der Utopie schwierige bis sogar unlösbare Konflikte geben wird, werden unabhängig vom verwendeten Entscheidungsverfahren Methoden zur Konfliktlösung weiterhin nötig sein. Diese sollten gewaltfrei sein. Vielleicht sind die Konfliktlösungsmethoden sogar das wichtigste Element einer Utopie.

In manchen Fällen wird es Einstiegsregelungen für Entscheidungsgremien geben müssen, die dem Grad von Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit angemessen sind, die eine einsteigende Person momentan hat.

Konsens

Konsens als Grundlage für ein Entscheidungsverfahren unterscheidet sich von demokratischen Verfahren erheblich. Bei Konsensverfahren rückt die Debatte über das zur Entscheidung anstehende Thema in den Vordergrund. Da eine Situation erreicht werden soll, in der keineR mehr gegen eine Entscheidung sein muß, ist die ganze Herangehensweise an die Entscheidungsfindung eine andere. Während demokratische Entscheidungen stark durch das Machtverhältnis zwischen Mehr- und Minderheit geprägt sind, spielt dieses bei einer Konsensentscheidung nur eine untergeordnete Rolle.

Während bei demokratischen Entscheidungsprozessen zwei oder mehr idealerweise unvereinbare Alternativen zur Abstimmung gestellt werden, muß bei Konsensverfahren versucht werden, differierende Meinungen unter einen Hut zu bringen. Dieser Vorgang unterscheidet sich auch vom Kompromiß oder Kuhhandel, indem anstatt Pole aufzubauen phantasievoll der Raum der möglicher Lösungen exploriert wird. Allerdings muß auch bei Konsensverfahren beachtet werden, daß keine unterschwellige Dominanz einer mächtigeren Gruppe entsteht.

In vielen Fällen zeigt sich, daß die Schwierigkeit eines Problems die entscheidende Rolle bei der Lösung spielt und das verwendete Entscheidungsverfahren diese Schwierigkeit nur begrenzt positiv beeinflussen kann. Konsensverfahren neigen allerdings dazu, einem Problem dem ihm angemessenen zeitlichen Spielraum zu geben.

Es ist bei genauem Hinsehen festzustellen, daß formal demokratische Verfahren schon heute oft mit konsensorientierten Mitteln arbeiten.

Umsetzung

Veränderungen sind weitgehend unabhängig von der Organisationsform. Sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in privatwirtschaftlichen Betrieben gibt es teilweise enorme Hürden gegen jede Veränderung. Begünstigt wird die Unbeweglichkeit allerdings durch Hierarchien, da die Menschen in den Hierarchien oft von Veränderungen keinen persönlichen Gewinn haben. Weiterhin begünstigt die Konzentration von Verantwortung z.B. in Form von Chefs eine Angst vor Veränderungen.

Jede Veränderung der Gesellschaft muß wohl schrittweise vorbereitet und durchgeführt werden. Letztlich wird es aber doch einer großen Zäsur bedürfen um dem Neuen endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Das Beispiel DDR zeigt, daß massive Umschwünge manchmal sehr schnell und von niemandem erwartet sich Bahn brechen.

Einige der oben genannten Ideen könnte in unseren eigenen Organisationen bereits umgesetzt werden. Dazu bedarf es der bewußten Tat, da ansonsten das Allzuübliche sich wieder einbürgern wird. Dies bedeutet, daß auch mehr oder weniger unbewußt eingesetzte Verfahren und Methoden explizit debattiert und eingeführt werden müssen.

Für die AG Kritische Uni wäre hier ein sehr konkreter Ansatzpunkt.


1 Die Zukunftswerkstatt ist eine von Robert Jungk entwickelte Technik zur handlungsorientierten Analyse eines Problems

2 Beide Strukturen sind übrigens Ergebnisse der bürgerlichen Vergesellschaftungsweise. Territoriale Herrschaft über ein genau umgrenztes Gebiet dient dem bürgerlichen Staat wesentlich dazu, innerhalb dieses Gebietes mittels eines einheitlichen Geld- und Rechtssystems einen gemeinsamen Markt zu bilden. Ein aktuelles Beispiel dafür bildet der vorwiegend ökonomisch definierte Prozeß der Intensivierung der EU.

3 Allerdings sind z.B. bei Greenpeace Anzeichen zu entdecken, wie sich auch eine NGO dem Funktionieren moderner Mediengesellschaften zu unterwerfen haben.

4 Die in einigen Kommunalwahlrechten verankerte Möglichkeit der stärker personalisierten (Parteilisten können im Wahlgang umsortiert werden) und (durch Kumulieren und Panaschieren) zielgenaueren Wahl seien hier außen vor gelassen. Allerdings ändern auch diese Methoden nichts am Prinzip einer parlamentarisch-demokratischen Wahl von Vertretungen.